Ingolfs Krankheit

Wie bei vielen bösartigen Erkrankungen begann es bei Ingolf anscheinend harmlos.Seit April 2003 klagte er über eine Sehschwäche auf dem rechten Auge.Es folgten diverse Untersuchungen, die Verordnung einer Brille, usw... es gab keine Besserung.

Dann wurden bei einer Blutuntersuchung entartete Zellen gefunden, die nichts Gutes ahnen ließen. Nach einer Knochenmarkpunktion diagnostizierte man: LEUKÄMIE.

Am 20.Mai 2003 stand die endgültige Diagnose fest, sie lautete Akute Myeloische Leukämie (AML). Die Ärzte der Uniklinik Düsseldorf gingen zunächst von einer einfachen Form aus. Nach der ersten Chemo stellte sich heraus, dass das Ziel nicht erreicht wurde. Also war er fortan Hochrisiko-Patient, eine Stammzellen-Transplantation war somit unumgänglich. Zunächst folgten weitere drei Chemo-Blöcke mit erhöhter Dosierung. Währenddessen lief die Suche nach einem geeigneten Spender, der, wider Erwarten, in seiner Schwester Rebecca schnell gefunden war. Der allen noch bekannte extrem heiße Sommer 2003 verstärkte die Nebenwirkungen der Chemos bis ins Unerträgliche. Nur wenige Tage konnte Ingolf das Krankenhaus verlassen. Doch trotz aller Schmerzen und Nebenwirkungen kämpfte er tapfer gegen seine Krankheit an. Die letzte hochdosierte Chemo, die alles zerstören sollte, begann am ersten Oktober und endete am Achten mit der Transplantation der Stammzellen. Nun folgte die gefährlichste Phase der Therapie.

Hier nur einige Begleiterscheinungen:

hohes Fieber, Hautrötungen schlimmer als bei Sonnenbrand, Schädigungen an sämtlichen Schleimhäuten, bis hinein in die Speiseröhre, Erbrechen rund um die Uhr, Infekt im Magen-Darm-Trakt, starke Schmerzen trotz Medikamentengabe, usw.....

Ab dem 15ten Tag nach der OP: Ingolf kann wieder kleinste Mengen Nahrung aufnehmen... ab und an erste kleine Spaziergänge.

27.10.2003 die Stammzellen sind angewachsen und verrichten ihre Arbeit!!! Ingolf hat jetzt Rebeccas Blutgruppe... Das Essen schmeckt auch wieder...

29.10.2003 sämtliche Medikamente werden von venös auf oral umgestellt.

1.11.2003 Entlassung aus der Klinik (KMT-Center) und Rückkehr in seine Wohnung in Düsseldorf.

Es folgten Infektionen, Schwächezustände, extreme Aufdunsungen durch Kortisongaben, Blasenentzündungen, Kopfschmerzen, wieder Übelkeit, Fieberschübe usw...

In dieser Zeit muß Ingolf zweimal wöchentlich in die KMT-Ambulanz zur Kontrolluntersuchung.

Am 24.Dezember 2003 fährt Ingolf nach Hause auf die Insel Spiekeroog; niemand erkennt ihn wieder. Ingolf beschließt, auf der Insel zu bleiben und fährt zunächst einmal wöchentlich und dann 14tägig zur Untersuchung nach Düsseldorf. Er scheint sich auf dem Wege der Besserung zu befinden, auch sein Leistungsvermögen nimmt ganz langsam wieder zu.

Ab März 2004, mit Beginn der Saison, versucht er eine Wiedereingliederung ins Berufsleben. Es fällt ihm schwer, aber er hält durch.

Bei einer Routinekontrolle am 20.April die erschreckendste Diagnose: Aussiedlungen der Leukämie in der Leistengegend, eine Operation ist unumgänglich. Also wieder Uniklinik Düsseldorf, das Leiden beginnt von vorn.

OP am 24. April mit Entnahme von Gewebeproben, am 6. Mai die endgültige Aussage der Ärzte: "Die Leukämie ist wieder da! Leukämie ist tödlich, wir können sie nicht mehr heilen!" Somit war das Todesurteil erstmals ausgesprochen.

"Wir geben uns nicht geschlagen und wollen weiter kämpfen."

Ingolf lehnt eine weitere Behandlung in Düsseldorf allerdings ab. Glücklicherweise bekommt er am elften Mai die Chance, sich in der Uniklinik Münster einer Rezidiv-Therapie zu unterziehen.

Die erneute Chemo beginnt gleich am 14.Mai, zu diesem Zeitpunkt ist die nachweisbare Konzentration der bösartigen Zellen bereits wieder auf 70% gestiegen.

Die volle Remission im Knochenmark wurde am dritten Juni erreicht. Obwohl Ingolf zwischenzeitlich am Sinn der Behandlung zweifelt, hält er durch. Gegen Ende des Monats sollte eine erneute Transplantation stattfinden. Es stellt sich jedoch heraus, dass sein Knochenmark nach der Chemo wieder selbsttätig gesunde Zellen produziert. Ein Wunder ?

Er wird am 2.Juli mit Kopfschmerzen und einem "Lungenpilz"entlassen, ist aber hoffnungsfroh.

Einmal wöchentlich soll er sich in der Uni-Ambulanz vorstellen.

Zuhause lässt sein ständiger Krampfhusten Angst aufkommen; nicht bei Ihm selbst? Ab dem 13. Juli wird ihm gestattet, vorsichtig wieder seiner Arbeit nachzugehen. Seine Leberwerte sind "noch" nicht ganz in Ordnung und die Lunge gibt Rätsel auf.

Im August ein weiterer Nachsorgetermin in Münster. Die Leberwerte haben sich weiter verschlechtert, Ingolf soll wieder in die Klinik, er weigert sich erstmals. Der Spiekerooger Inselarzt sollte nun die ambulante Behandlung übernehmen. Der Husten wird von Tag zu Tag schlimmer, Ingolf klagt über Gehbeschwerden.

Am 10. August früh morgens kann Ingolf nicht mehr laufen und hat Fieber, er will keinen Arzt, nur Schlaftabletten. Erst am frühen Nachmittag gestattet er, dass der Arzt hinzugezogen wird. Er wird sofort mit einem Rettungshubschrauber nach Sanderbusch geflogen. Ingolf findet das Ganze überzogen und möchte am liebsten gleich wieder nach Hause. Er muß bis zum 17. August bleiben und sich in dieser Zeit diversen Untersuchungen unterziehen. Das Krankenhaus kann nicht weiterhelfen und schickt ihn wieder nach Münster. Diagnose in Sanderbusch: "Raumforderung zwischen Herz und Lunge, auch im Gehirn sind 'Dinge', die dort nicht hingehören". Im Klartext: Aussiedlungen in Herz, Lunge und Stammhirn. Sechs Tage verbringt Ingolf noch auf Spiekeroog und wird am 24. August mit hohem Fieber im Uniklinikum Münster eingeliefert. Sein Zustand verschlechtert sich von Tag zu Tag, er hat unerträgliche Schmerzen in Kopf und Lunge, ab dem 31. August wird er ins Koma versetzt, um künstlich beatmet zu werden. Am 6. September wird er von der Beatmungmaschine genommen, sein Zustand ist hoffnungslos. Ab und zu spricht er ein wenig, meistens Unverständliches... er bekommt Morphium gegen die Schmerzen und schläft am 10. September gegen 15 Uhr für immer ein. Er hat seinen Kampf verloren, wie so viele vor ihm...

Fazit:

Mir als seinem Vater, der fast die ganze Zeit an Ingolfs Seite im Krankenhaus verbracht hat, kam die ganze Krankheit einschließlich aller nötigen Behandlungsmethoden wie die langsame, qualvolle Folter eines zum Tode Verurteilten vor. Sechzehn Monate Kampf, Angst, Hilflosigkeit, heimliche Tränen, das Siechtum des Körpers beobachtend, zum Ende hin schreckliche Atemnot, Versagen der Stimme... um dann an den wohl schon früh vorhandenen, aber nicht zu erkennenden Aussiedlungen - mehreren Tumoren in Kopf, Lunge, Herz, Milz, Leber und wer weiß wo noch - zu sterben... WARUM?

Die Seebestattung